Richard, der tollkühne Held oder: Ein Opern-Fragment wird bühnentauglich gemacht

von Florian Reichart

In seiner Autobiographie Mein Leben schreibt Richard Wagner über seine Kindheit: “Wir wohnten am Markte, der mir oft eigentümliche Schauspiele gewährte, wie namentlich die Vorstellung einer Akrobaten-Gesellschaft, bei welchen auf einem von Turm zu Turm über den Platz gespannten Seile gegangen wurde, was in mir lange Zeit die Leidenschaft für ähnliche Kunststücke erweckte. Ich brachte es wirklich dazu, auf zusammengedrehten Stricken, welche ich im Hof ausspannte, mit der Balancierstange mich ziemlich geschickt zu bewegen; noch bis jetzt ist mir eine Neigung, meinen akrobatischen Gelüsten Genüge zu tun, verblieben.” Wagners Affinität zu allerlei artistisch-circensischen Faxen findet sich auch in Peter Patzaks Spielfilm Wahnfried in einer Szene wieder: Zum Erstaunen seiner Gäste und zum Missfallen von Ehefrau Cosima springt der sich bei anderen Anlässen oft recht eitel gebärdende Komponist unvermittelt und dabei behände über eine Hecke, rollt sich überschlagend einen Abhang hinunter durchs Gras und erklettert dann mit Leichtigkeit einen Baum, in dem er sich einem Affen gleich geschickt durchs Geäst bewegt.

Doch nicht nur im Privaten ist Wagners Humor und Witz wenig bekannt, auch sein Werk wird in aller Regel eher mit Liebesschmerz und Todessehnsucht assoziiert. Sicher, Die Meistersinger von Nürnberg sind überwiegend eine heitere Angelegenheit und wer sich mit Wagners Jugendwerken beschäftigt, dem ist auch sein zweites Bühnenwerk Das Liebesverbot ein Begriff, welches sich in den Bereich der komischen Oper einordnen lässt. Trotzdem würden wohl nur die wenigsten auf die Idee kommen, Wagner als einen großen Komiker des Musiktheaters zu sehen. Joachim Köhler konstatierte in seinem Buch Der lachende Wagner: „Es gehört zu den schwer begreiflichen Phänomenen in Wagners Leben, dass diesem schöpferischen Mann, der sämtliche theatralischen Kniffe ebenso beherrschte wie sämtliche Spielarten des Humors, nie ein wirklich komisches Theaterstück gelungen ist.“

Umso interessanter erscheint in diesem Zusammenhang Wagners Fragment gebliebene komische Oper Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie aus dem Jahr 1838, also dem Zeitraum zwischen Das Liebesverbot (1836) und Rienzi (1842). Es sollte ein Werk für das Rigaer Theater werden, an dem Wagner als Kapellmeister angestellt war. Die Geschichte basiert auf einer Erzählung aus der orientalischen Märchensammlung Tausendundeine Nacht und handelt vom Juwelier Julius Wander, der sich in eine Frau verliebt, welche ihm aus Ärger über den in seinem Laden ausgestellten Wahlspruch „Männerlist größer als Frauenlist“ einen Bären aufbindet und ihn auf eine harte Probe stellt. Recht deutlich hat Wagner in seine Umarbeitung auch autobiographische Elemente einfließen lassen: So hieß einer von Wagners Brüdern tatsächlich Julius und war Goldschmied und auch der Nachname „Wander“ lässt sich mit etwas Fantasie als „Wagner“ erkennen. Doch während Wagner das Libretto vollständig ausarbeitete, brach er die Komposition der Musik inmitten der dritten Nummer ab: „Auch machte ich den Text zu einer zweiaktigen komischen Oper: ‘Die glückliche Bärenfamilie’, wozu ich den Stoff aus einer Erzählung der tausend und einer Nacht entnahm. Schon hatte ich zwei Nummern daraus komponirt, als ich mit Ekel inne ward, daß ich wieder auf dem Wege sei, Musik À LA AUBER zu machen; […] Mit Abscheu ließ ich die Arbeit liegen.“ Tatsächlich lernt man Wagner hier von einer ganz anderen Seite kennen, einer Seite, die durchaus an die französische opéra comique im Stile von Auber und Adam erinnert. Zum einen betrifft dies die fröhlich-beschwingte Musik, zum anderen ist es im Gegensatz zu den durchkomponierten Opern des Bayreuther Meisters als Singspiel mit Sprechtexten konzipiert. Wagner selbst mag sich also voller „Abscheu“ und „Ekel“ von diesem Frühwerk distanziert haben, die musikalische Fachwelt aber war umso begeisterter, als die lange Zeit verschollenen Kompositionsskizzen des Fragments 1994 unvermittelt wieder auftauchten.

Erstaunlicherweise gelangten die zwei von Wagner skizzierten Nummern (eine Introduktion mit Chor und Soli und ein Duett – das folgende Terzett wurde nach einigen Takten abgebrochen) erst 2007 in einer von James Francis Brown instrumentierten Fassung zu ihrer musikalischen Uraufführung.
Haben es schon kurze Einakter aus theaterpraktischen Gründen oft schwer, sich auf der Bühne zu behaupten, so scheint das Schicksal eines als abendfüllend gedachten Singspiel-Fragments, das gerade einmal knappe 15 Minuten Musik enthält, für den Theateralltag mehr oder weniger besiegelt. Die Pocket Opera Company, der Regisseur Peter P. Pachl und das Kulturreferat der Stadt Nürnberg haben es sich jedoch zur Aufgabe gemacht, Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie in einer komplettierten und orchestrierten Fassung szenisch erstmalig zur Aufführung zu bringen und damit einen der außergewöhnlichsten Beiträge zum 200. Geburtstag von Richard Wagner zu leisten. Der künstlerische Leiter der Pocket Opera Company, Franz Killer, verwendet zur Komplettierung der musikalischen Nummern dabei andere, wenig bekannte Kompositionen Wagners und arrangiert sie für den Originaltext des Librettos, aus dem deutlich zu erkennen ist, welche Teile in Musik gesetzt werden sollten.

Ob Wagner sich angesichts dessen, dass seine wenig geschätzte „Bärenfamilie“ nun doch noch aus dem Ei kriecht und das Bühnenlicht erblickt, im Grabe herumdreht? Schließlich hat er am Ende seines Lebens nie wie im Bezug auf den Tannhäuser geäußert, er sei „der Welt noch die Bärenfamilie schuldig geblieben“. Wir vermuten in aller Bescheidenheit, er hätte vielleicht doch eher einen Purzelbaum geschlagen und mit Freude die Bäume im Nürnberger Stadtpark erklommen. Letzterer liegt dann auch ganz zufällig an der Bayreuther Straße …